Mein erstes Mal

 

Mein erstes Mal, an einem stürmischen Januartag, mit 49 Jahren und gleich mit zwei Männern. Wahnsinn !!! - aber zurück zum Anfang:

 

Ich hatte im Jahr 2014, insgesamt 12 Starts mit meinem Hobby „Laufen“. Ich nahm bei diversen Laufveranstaltungen, von 5 Km Staffellauf bis Firmenläufe und bei verschiedenen Volksläufen 10 km , 15 km und 16 km teil.

 

2015 werde ich 50 Jahre jung und ich dachte mir, bevor ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr laufen kann, versuche ich in diesem Jahr mal was Außer-gewöhnliches. Ich habe einen Artikel über das Alter gelesen, der sagte, dass sich der Mensch in den Jahren mit der „9“ immer eine Veränderung wünscht: 29, 39, 49, wenn nicht jetzt, wann dann!

 

Ein guter Lauffreund aus dem Lauftreff, Uwe A., wurde in meine Pläne eingeweiht und er erstellte mir bzw. uns sofort einen Trainingsplan. Es waren tolle 12 Wochen

Vorbereitungszeit, die die dunkle Jahreszeit erhellte. Die langen Läufe waren am Wochenende und es waren immer Mitläufer vom Lauftreff dabei. Meine weiteste Distanz im Training war knappe 34 km und ich hatte bei diesem Lauf körperlich „ALLES“. Wollte nicht mehr laufen und hatte überall Schmerzen. Uwe meinte wir sollten das Ziel nicht aus den Augen verlieren, dran bleiben.

 

Jetzt war es soweit: Ende Dezember war für den 13. LLG Kevelaer Marathon

am 11. Januar 2015 Meldeschluss. Eine Entscheidung musste her, also meldete ich mich als Erste an, es folgten Uwe und Wolfgang S. Beide Lauffreunde wollten gerne bei meinem Marathondebüt dabei sein und mich begleiten. Super!

 

Marathon 2015 war gebucht, zeitgleich ging meine geliebte Laufuhr kaputt. Wie soll das gehen, einen Marathon zu laufen ohne Zeitkontrolle, wenn frau sich doch so daran gewöhnt hat. Telefonate mit garmin folgten und pünktlich zum Debüt kam mein

neues Schätzchen, mit dem Poststempel aus der der Heimat. Die sitzen nämlich in

Puchheim/Bayern und ich bin 5km davon entfernt „groß“ geworden. Somit läuft die

Heimat am Armgelenk mit. Auch die neue Uhr hat ihr Debüt.

 

Am 11. Januar 2015 war um 7.00 Uhr morgens Abfahrt in Dortmund Wickede, also ging mein Wecker pünktlich um 5.15 Uhr. Bei meiner Wettkampferfahrung 2014 habe ich festgestellt, dass ich immer eine Weile brauche bis mein Kreislauf in Schwung kommt. Für mich hat sich auch vor den Wettkämpfen ein warmer frischer Haferbrei mit Zimt und Heidelbeeren bewährt. Heute kamen noch Chia Samen und eine halbe Banane in den Brei, somit sollte der Kohlenhydratspeicher ausreichend gefüllt sein. Dazu gab’s noch ein Haferl Milchkaffee.

 

Nach einer zügigen, unterhaltsamen Autofahrt (Morgenmuffel ist ja keiner von uns)

mit einer Pipipause sind wir pünktlich um 8.30 Uhr in Irrland / Kreis Kleve angekommen. Es regnete leicht und mein dick gefüllter Trolley hat den Kofferraum verlassen. Zuhause wurde mir die Frage gestellt: „ob ich ausziehe“, jetzt wo der Flughafen Weeze nicht weit weg ist, eigentlich keine schlechte Idee, Personal-ausweis hab' ich mit.

 

Aber es ging nicht nach Weeze, sondern 400 m Richtung Aufenthaltszelt. Dort gab es auch die Startunterlagen und ich kaufte mir meinen ersten MIKA Timing Chip. (Vielleicht wird der nochmal gebraucht).

 

Das Sturmtief „Felix“ war zu spüren und die Laufgarderobe wurde nochmal verändert. Genug Wechselwäsche hatte ich ja mit, hätte ja sein können, dass es Bikiniwetter gibt, so nah an Holland, kenn ich doch nur vom Strandurlaub. Also wurde es eine lange Tight, die Jacke blieb an und Handschuhe wurden auch noch mit in das Abenteuer genommen.

 

Heute stand am Plan: „Nicht siegen ist wichtig, sondern Dabeisein und gewinnen“.

 

10min vor dem Startschuss fanden wir uns an der Startlinie ein. Uwe hatte einen Blick für die Presse und sprach noch einen Journalisten einer Kevelaer Zeitung an und erzählte ihm, er sollte sich meinen Namen notieren, und eine Zeile über meinen ersten Marathon schreiben. Der Reporter notierte sich unsere Daten, schließlich läuft Uwe seinen 50. und Wolfgang seinen 81. Marathon. Er stellte mir einige Fragen unter anderem: „Was habe ich für ein Gefühl vor meinem ersten Marathon?“ „Ich lasse mich auf ein Abenteuer ein, der Lauf ins Ungewisse, ich bin voller Spannung, habe keine Angst."


Startschuss pünktlich um 10.00 Uhr. Aufgeregt war ich nicht wirklich, freute mich doch die ganze Woche schon und alle Freunde haben mir doch Spaß gewünscht. Ja den wollte ich auch haben. Die ersten Meter liefen super an. Wir kamen gut und schnell aus dem Startbereich und Uwe nannte es „erst mal die Runde kennen-lernen“. Wir waren nach 35 Minuten schon auf dem Weg zur zweiten Runde. Da wir erst mal alles kennenlernen mussten, merkte ich den Regen kaum. Am Anfang jeder Runde kam das unangenehmste 2 km lange Stück mit starkem Gegenwind. Jetzt wurde der Regen zu Hagel und wir stellten alle drei fest, dass wir ein Gesichts-peeling gar nicht mitgebucht hatten. Aber was soll´s, wir sind am Laufen und da nehmen wir halt das ganze wettertechnische Programm mit, ALLES was uns hier geboten wird. Wir schaffen die 10Km unter einer Stunde und Wolfgang stellt fest, wir sind zu schnell. Aber rucki zucki die 2. Runde ist auch schon beendet, der Journalist erkennt mich wieder, hält mir während des Laufs sein Diktiergerät hin und erkundigt sich nach meinem Wohlbefinden. „Alles noch gut!“ schnaufte ich ihn an.

 

Gleich kommen wir wieder zur Jukebox, (die haben immer gute Musik gespielt, und sich an den Jahrgängen der Starter orientiert), dann das unangenehme Gegen-windstück, aber egal die Kraft ist noch da, gleich sind wir wieder bei der Getränke-versorgung am Wegesrand und dann wird’s wieder schön.

 

Kurz vor beenden der 3. Runde erblickten wir am Feldweg, bekannte Dortmunder Gesichter. Was für eine tolle Überraschung, Lauffreundin und Nachbarin Daniela und ihr Mann Stephan stehen winkend am Rand und machten Fotos. Ein kurzes Küsschen und Hallo, hatte kurz überlegt meine Handschuhe abzugeben, aber lieber noch nicht, es ist doch noch zu kalt. Beschwingt geht’s in die vierte Runde und der Kopf sagt, gleich ist die Halbmarathondistanz geschafft. Die ersten zwei Stunden vergingen sozusagen wie im Flug. Jetzt lacht die Sonne am Himmel und versucht sich ständig durch die grauen Wolken zu drücken. Stürmisch und kalt bleibt es immer noch, die Luft erwärmt sich nicht. Es gesellen sich immer wieder abwechselnde Laufbekannte mit zu uns in die Dreier-Gruppe, wir erzählten, lachten und hatten Spaß und laufen war Nebensache. Auch der Blick auf die Uhr war mir heute nicht wichtig, es war doch alles so schön.

 

Gedanken kreisen und der Verstand sagt, die Härteste Runde wird die fünfte, deshalb entkleide ich mich von meinen dicken Sachen, deponiere die Laufjacke und meine Handschuhe am Versorgungsstand im Startbereich. Huhu so ohne Jacke, es ist doch frisch, also ein bisschen schneller laufen, dass es wieder warm wird.

 

Das ekelige Stück gegen den Wind, was jetzt ohne Gesichtsschutz fast gar nicht möglich war, kostete viel Kraft. Jetzt fingen auch bei mir die Waden an zu schmerzen. Wolfgang läutete hier seine Gehpausen ein. Wir liefen langsamer, er schloss wieder auf, ging wieder und ich merkte, dass ich in diesem Zustand schlecht

gehen kann. Das Anlaufen ist wieder sooo schwer, deshalb trippelte ich neben

Wolfgang her und er ging. Bei der nächsten Gehpause von Wolfgang setzten wir

uns ein paar Meter ab. Der Abstand zu Uwe und mir wurde seitens Wolfgang immer größer. Ab jetzt liefen Uwe und ich alleine weiter, immer mit dem Blick nach hinten

gerichtet, ob Wolfgang wieder aufschließt, denn schließlich wollten wir doch

alle drei gemeinsam Laufen.

 

Uwe erzählte, dass wir schon wieder auf dem Rückweg seien und dass das Schönste schon wieder vorbei ist. Langsam versteh ich seine Worte die er im

Training auch gerne von sich gegeben hatte, denn es ist wirklich gleich schon

rum und bis jetzt war es ein toller Lauf; die familiäre Stimmung, die Freizeitläufer die gegen die Laufrichtung ihre Sonntagsrunde drehten und uns immer applaudierten und uns motivierten, die bekannten Laufgesichter die einem im Gegenverkehr entgegen kamen, die Musik zum Mitsingen, alles sollte gleich schon wieder vorbei sein.

 

Runde sechs wurde erfreulicher Weise mit der Ansage des Moderators eingeläutet: „Hier kommt die Edith mit der Startnummer 107, aus Dortmund, die läuft hier ihren 1. Marathon“. Ok Hände nach oben, damit alle Zaungäste wissen, dass ich die Edith bin.

 

Gefühlt wurde der Wind zum Sturm oder die Kräfte ließen nach, ich durfte im Wind-schatten von Uwe laufen, ok er musste sich ein bisschen breiter machen, damit es einen „Schatten“ gab. Es half aber und tat gut nicht den ganzen kräftigen Wind abzubekommen und das Gefühl zu haben ich komme wenigstens ein wenig vorwärts. Dieses Spiel zwei Schritte vor und einen zurück, hatten wir doch jetzt schon lange genug gespielt.

 

Ich hatte während des ganzen Lauf, kein einziges Mal das Gefühl: „Ich kann nicht mehr“; „Ich will hier weg“; NEIN! Es lief und lief und es machte Spaß, trotz der Anstrengung. Keine Knieschmerzen, nur bisschen Wade, ok. Neue Erkenntnis, aber das schaffe ich auch noch. Dem Kommentar eines Lauffreundes auf Facebook: „Du bist immer am Lachen, scheint mehr Spaß als Qual gewesen zu sein“, darf ich hier zustimmen. Ja es hat mich kein einziges Mal gequält, den Mann mit dem Hammer habe ich nicht kennengelernt, ich hatte Spaß.

 

Am Ende der sechsten Runde haben wir den Zuschauern schon mal mitgeteilt, dass wir noch einmal vorbei kommen.

 

Somit war die siebte und letzte Runde begonnen. Die letzte Runde dauerte doch fast 10 Minuten länger als die Erste. Wie kam denn das? In der letzten Runde war ich jetzt doch ein bisschen traurig, denn das sagte mir, ich komme hier nicht mehr vorbei und ich will noch einmal alles genießen, noch mal alles mitnehmen was mich diesen schönen Sonntagvormittag begleitet hat, somit begannen wir uns bei den schönen Schafen zu verabschieden, Servus du doofer Gegenwind, Tschüs du wildes Pferd, Adios an der Rollrasenfabrik, Auf Wiedersehen bei den Bauernhöfen, ein Danke-schön am Versorgungsstand in der Rundenmitte und ein Abschiedswinken bei den Helfern und Zuschauern. Die letzte Runde sollte gar nicht zu Ende gehen, denn jetzt ist alles vorbei, war‘s das jetzt? Hast du das echt geschafft? Nochmal einen

„Geher“ zum Endspurt motiviert, der erzählte uns, er absolviert gerade seinen 185 Marathon in 20 Jahren, Respekt, das schaffe ich nicht mehr. Ok, ich habe meinen Ersten, wir gratulieren uns gegenseitig, somit werden die letzten km fast ein wenig

sentimental.

 

Einige „Geher“ werden noch überholt, das sagt mir „wir sind nicht Letzter“. Mit diesem tollen Laufende und dem beschwingten tollen Gefühl ziehen wir den letzten km durch. Ein Kommentar eines sehr guten Freundes nach einigen Tagen: „ Ich bin mir sicher, dass du das Marathon Ding nicht gelaufen bist, sondern erlebt hast“, stimme ich sehr zu, so geht Marathon.

 

Auf der Zielgeraden erkennt mich der Moderator wieder, (das ist der Vorteil von kleinen Veranstaltungen), nennt meinen Namen, meine Startnummer, Stephan fotografiert, Dany winkt. Uwe lässt mich alleine durchs Ziel laufen, weil er auch noch so nett ist und meine deponierte Jacke abholt. Ich stehe auf der Zeitmatte die

piepst, 4:34, ich bleibe stehen falle gar nicht um, freue mich, ein kleines Mädchen hängt mir die Finisher-Medaille um den Hals, Uwe und ich fallen uns um den Hals und gratulieren uns gegenseitig. Daniela und Stephan gratulieren, machen Fotos, helfen uns den Schutzsack über zu ziehen und wir warten alle gemeinsam auf Wolfgang, bis auch er gleich über die Ziellinie läuft. Habe total vergessen meine Uhr auf Stop zu drücken, was spielt die Zeit bei einem so tollen Lauf überhaupt für eine Rolle?

Ja und was soll ich jetzt abschließend noch sagen: Ich habe mich verliebt, verliebt in ihn, verliebt in ALLES, was für mich unerreichbar erschien.

 

Er hält was er verspricht, er ist pünktlich, er ist stark, dreht sich nicht wie die Fahne im Wind, er schafft es binnen vier Stunden die Anzeige auf der Personenwaage um zwei Kilo zu reduzieren, bringt die Hose zum Rutschen.


Bringt Körperteile zum Zittern, dieses Gefühl kannte ich vorher noch nicht, dieses kribbeln in den Oberschenkeln, dieses stechen in der Wade, dann diese Härte und Beständigkeit.


Er sagt nicht du darfst aufhören, das Wetter ist schlecht, genug für heute, nein er ist stark, er ist konsequent, er gibt nicht nach. Er hat kein Erbarmen mit dir, es ist geschafft und du bist nicht böse auf ihn, nein du hast sogar schöne Erinnerungen an ihn. Es dauert Tage bis er aus deinem Körper verschwindet, aber mein Herz verlässt er nie. Du hast durch ihn dein Leben um eine Erfahrung bereichert und hast eine schöne Geschichte für die, die sich dafür interessieren. Er verbiegt sich nicht, er bleibt immer 42,195 km lang.

 

Nicht dass ich ihn jeden Tag gerne um mich hätte, aber so hin und wieder ein Date mit ihm, könnte ich mir vorstellen. Und schon habe ich eine nächste Verabredung ausgemacht.

Wir sehen uns wieder: DER MARATHON - am 12. April 2015 in Paris.

 

Edith Pacheco im Januar 2015